Deklaration zur gemeinsamen Sprache | KROKODIL
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Deklaration zur gemeinsamen Sprache

Angesichts der negativen gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Folgen politischer Manipulationen durch Sprache und der aktuellen Sprachpolitik in Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Montenegro und Serbien, verabschieden wir, die Unterzeichnenden, die

DEKLARATION ZUR GEMEINSAMEN SPRACHE
Die Frage, ob in Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Montenegro und Serbien eine gemeinsame Sprache verwendet wird, kann bejaht werden.

Es handelt sich um eine gemeinsame polyzentrische Standardsprache – beziehungsweise um eine Sprache, die von mehreren Völkern in mehreren Staaten mit erkennbaren Varietäten gesprochen wird – wie zum Beispiel Deutsch, Englisch, Arabisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch und viele andere. Diese Tatsache wird gestützt durch den Stokavischen Dialekt als gemeinsame Dialektgrundlage der Standardsprache, das Verhältnis von Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Sprache und die sich daraus ergebende gegenseitige Verständlichkeit.

Der Gebrauch von vier Bezeichnungen für die Standardvarietäten – Bosnisch, Kroatisch, Montenegrinisch und Serbisch – bedeutet nicht, dass dies auch vier verschiedene Sprachen sind.

Das Beharren auf der kleinen Anzahl bestehender Unterschiede und der gewaltsamen Trennung der vier Standardvarietäten führt zu einer ganzen Reihe von negativen gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Phänomenen, wie dem Gebrauch der Sprache als Argument für die Trennung von Kindern in gewissen multinationalen Milieus, unnötigen „Übersetzungen“ in Administration und Medien, dem Erfinden von Unterschieden, wo gar keine bestehen, bürokratischen Zwängen, sowie Zensur (und Zwang zur Selbstzensur), wobei der sprachliche Ausdruck als Kriterium ethnonationaler Zugehörigkeit und Mittel zum Beweis politischer Loyalität aufgezwungen wird.

Wir, die Unterzeichnenden dieser Deklaration, sind der Meinung, dass

  • die Tatsache der Existenz einer gemeinsamen polyzentrischen Sprache das individuelle Recht auf Ausdruck der Zugehörigkeit zu verschiedenen Völkern, Regionen oder Staaten nicht in Frage stellt;
  • jeder Staat, jede Nation und jede ethnonationale oder regionale Gemeinschaft frei und selbständig die eigene Varietät der gemeinsamen Sprache kodifizieren kann;
  • alle vier momentan bestehenden Standardvarietäten gleichwertig sind und nicht eine davon als Sprache angesehen werden kann, und die anderen als Varietäten dieser Sprache;
  • die polyzentrische Standardisierung eine demokratische Form der Standardisierung ist, die dem tatsächlichen Gebrauch der Sprache am nächsten kommt;
  • die Tatsache, dass es sich um eine gemeinsame polyzentrische Standardsprache handelt, jedem Benutzer die Möglichkeit gibt, sie zu benennen, wie er es wünscht;
  • zwischen den Standardvarietäten einer polyzentrischen Sprache Unterschiede in den sprachlichen und kulturellen Traditionen und in der Praxis, im Gebrauch der Schrift, im Wortschatz wie auch auf allen übrigen sprachlichen Ebenen bestehen. Davon zeugen auch die unterschiedlichen Standardvarietäten der gemeinsamen Sprache, in denen diese Deklaration veröffentlicht und benutzt werden wird;
  • die Unterschiede der Standardvarietäten sowie die dialektalen und individuellen Unterschiede keine gewaltsame institutionelle Trennung rechtfertigen, sondern, im Gegenteil, zum riesigen Reichtum der gemeinsamen Sprache beitragen.

Daher rufen wir, die Unterzeichnenden dieser Deklaration, auf

  • zur Abschaffung sämtlicher Formen der Trennung und Diskriminierung aufgrund von Sprache in Bildungseinrichtungen und öffentlichen Institutionen;
  • zur Einstellung repressiver, unnötiger und für die Sprecher schädlicher Praktiken zur Trennung der Sprache;
  • zur Einstellung der rigiden Definition der Standardvarietäten;
  • zur Vermeidung unnötiger, sinnloser und teurer „Übersetzungen“ in der gerichtlichen und administrativen Praxis sowie in den Medien;
  • zur Freiheit der individuellen Wahl und zur Achtung sprachlicher Vielfalt;
  • zur Freiheit dialektaler und regionaler Verwendungen;
  • und, schließlich, zur Freiheit zur „Durchmischung“, zu gegenseitiger Offenheit und zum wechselseitigen Einfluss unterschiedlicher Formen und Ausdrücke der gemeinsamen Sprache zum umfassenden Nutzen aller ihrer Sprecher.